Einige Grundlagen zum Konzept „Biosphärenreservat“ hatten wir in unserer Pressemitteilung vom 24. Mai 2021 dargelegt.
Der renommierte Botaniker, Prof. Dr. Burkhard Büdel, ist überzeugt, dass der Spessart prädestiniert ist, als Biosphärenreservat gestaltet zu werden. „Wir haben hier im Spessart ein einzigartiges Gebiet, einen der größten zusammenhängenden Waldbestände Mitteleuropas, der geprägt ist durch die Buche.“ Schon die alten Römer bezeichneten das Gebiet um den Spessart daher als „Buchonia“. Einige besondere Perlen finden sich direkt vor unserer Haustür in Biebergemünd. Als Beispiel kann der bis in die achtziger Jahre zur Viehwirtschaft genutzte Hutewald bei Bieber genannt werden. Seine alten Eichenbestände waren exemplarisch für ein menschgemachtes, besonders artenreichen Gebiet. Ebenso ist der Erlenbruchwald im Lochborn, der durch vorindustriellen Bergbau geformt ist und über eine im Spessart einzigartige Flora verfügt. Auch andere Gebiete, wie die im Mittelalter zur Graswirtschaft im Spessart etablierten Wässerwiesen, oder etwa der Basaltkegel „Beilstein“ bei Lettgenbrunn mit einem besonderen Buchen-Eichenwald mit Ulme, Ahorn und Linde, präsentieren sich als besondere Naturschätze.
Den Mehrwert eines möglichen Biosphärenreservats hinterfragt Christian Münch, Leiter des Forstamts Jossgrund, welches für einen Großteil der Waldflächen im hessischen Spessart verantwortlich ist. „Bereits heute werden eine Vielzahl verschiedener Naturschutzkategorien im hessischen Spessartwald umgesetzt. So haben wir FFH-Gebiete [Anm.: Gebiete gemäß der EU-Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie zum Schutz von Pflanzen (Flora), Tieren (Fauna) und Lebensraumtypen (Habitaten)], Vogelschutzgebiete, Biotope und zahlreiche Naturschutzgebiete und sogar Waldprozessschutzflächen, in denen der Wald sich selbst überlassen wird.“
Gerade dieser Bestand ist aus Sicht von Burkhard Büdel eine besonders geeignete Keimzelle für ein Biosphärenreservat. Wo viele einzelne und für sich genommen kleine Gebiete bereits einen wichtigen Beitrag zum Naturschutz liefern, lassen sich jedoch aus seiner Sicht nur Randeffekte erzielen. Um diese inselartigen Zonen zu verbinden und so einen stärkeren Beitrag zum Artenschutz zu bewirken, wären in den Pflegezonen eines Biosphärenreservats zusätzlich Korridore vorgesehen. Kerngebiete bieten darüber hinaus Potenzial zur Ausbreitung von Naturwäldern und zur Entwicklung urwaldähnlicher Mosaikwälder mit großer Artenvielfalt. Und gerade in solchen Bereichen, in denen ein Wald mit jahrhundertealten Bäumen wachsen darf, kann besonders viel Kohlenstoffdioxid gebunden werden. Ein Aspekt, der für den Klimaschutz in Europa voraussichtlich eine immer wichtigere Rolle spielen wird.
Dabei legt Burkhard Büdel Wert darauf, festzuhalten, dass die Kernzonenfläche eines Biosphärenreservats zwar auf mindestens drei Prozent der Reservatfläche festgelegt ist, die jedoch nicht zusammenhängend zu sein braucht. Bei einer knapp 200.000 ha messenden Fläche des Spessartwaldes würde die Kernzonenfläche bei etwa 6.000 ha liegen. Hierin bestünde ein signifikanter Unterschied zu dem gescheiterten Versuch des Aufbaus eines Nationalparks Bayerischer Spessart, welcher aufgrund der landesrechtlichen Vorgaben eine zusammenhängende Mindestfläche von wenigstens 10.000 ha gebraucht hätte.
Mark Trageser, Vorsitzender des Kreisbauernverbands Main-Kinzig, befürchtet hingegen globale Verlagerungseffekte in deutlich schlechter oder unregulierte Gebiete, wenn infolge der Etablierung eines Biosphärenreservats ergiebige Nutzflächen im hessischen Spessart wegfallen würden. Auch merkt er an, dass für deutsche Bauern der Exporthandel von Lebensmitteln wesentlich attraktiver ist, als deren Vertrieb in Deutschland, wo Dumpingpreise den Markt bestimmen, weil nach wie vor nur ein einstelliger Prozentsatz der Bevölkerung tatsächlich dazu bereit sei, den Preis für Bio-Lebensmittel zu zahlen. Ebenso sei es der Bauindustrie in vielen Ländern egal, ob das Holz aus nachhaltig bewirtschafteten hessischen Wäldern oder aus Raubforstbau in einem Urwald stammt. Im Hinblick auf die letzten europäischen Buchen-Urwälder in Rumänien und Kroatien stellte er die Frage in den Raum, ob es global betrachtet nicht wirkungsvoller sei, an solchen Orten zu handeln.
Professor Büdel erläuterte hierzu, dass der Raubbau leider gerade in den Karpaten infolge organisierter Kriminalität, die auch vor Morden an Forstarbeitern keinen Halt macht, dazu geführt hat, das mittlerweile nur noch kleinste Restbestände an sehr schwer zugänglichen Steilhängen vorhanden sind.
Umso wichtiger, meint Knut Kiesel, ist es, vor Ort durch nachhaltige Entwicklung die Zukunft mit zu gestalten. An dieser Stelle hakt wiederum Mark Trageser ein und will wissen: „Wer bestimmt eigentlich, was nachhaltig ist?“
Knut Kiesel sieht in diesem Punkt eine besondere Stärke des UNSESCO-Projekts. „Wie der englische Name des Programms noch besser als der deutsche Begriff Biosphärenreservat zum Ausdruck bringt, geht es um eine Verbesserung des Miteinanders von Mensch und Natur.“ Dabei soll nicht von oben herab entschieden werden. Wesentlich ist das Auffinden von Kompromissen, die für alle beteiligten Gruppen tragbar sind. Ganz wichtig findet auch Burkhard Büdel, dass kein Zwang besteht, sondern dass die einzelnen potenziell betroffenen Gemeinden für sich über die Teilnahme entscheiden. Auf der bayerischen Seite der politischen Grenze durch den ja eigentlich zusammenhängenden Spessart ist man hierbei bereits einige Schritte weiter. Geführt durch die dortigen Landräte hat das Projekt bereits Fahrt aufgenommen und soll demnächst durch eine Machbarkeitsstudie erfahren. Auch vor diesem Hintergrund findet Knut Kiesel, dass es höchste Zeit ist, dem Thema auch in Hessen und ganz konkret im Main-Kinzig-Kreis stärker Beachtung zu schenken, wo Gemeinden wie Biebergemünd die Erschließung des Spessarts als Naherholungsgebiet voran bringen wollen.
Mit Blick auf die Förderung des Tourismus in einem potentiellen Biosphärenreservat äußert jedoch Christian Münch bedenken. „Die letzten beiden Corona-Jahre haben uns hier im Spessart überdeutlich vor Augen geführt, welche negativen Folgen ein zunehmender unregulierter Tourismus hat.“ Neben vielen umsichtigen Wanderern, die bewusst in den Spessart kommen und achtsam mit ihm umgehen, nimmt nicht nur er mit Sorge eine wachsende Gruppe Vergnügungssüchtiger wahr, die von den Waldwegen abweichen und sich rücksichtslos gegenüber den Tieren, der Umwelt und den Mitmenschen aufführen. Dies erkennt auch Bernhard Mosbacher von der Spessart Tourismus und Marketing GmbH an. „Das ist leider ein ganz typisches Problem der Mittelgebirgsregionen. Daher erarbeiten wir im Austausch mit anderen Regionen wie der Rhön Konzepte für einen nachhaltigeren Tourismus.“
Hierfür könnten aus Sicht von Dr. Knut Kiesel gezielte Fördermittel aus dem Programm genutzt werden und in den flächenmäßig größten und am stärksten durch die Bevölkerung geprägten sogenannten Entwicklungszonen des Biosphärenreservats helfen, wo in besonderem Maße Umweltbildung gefördert werden soll. Dabei kann auch auf Erfahrungen aus bereits etablierten Biosphärenreservaten zurückgegriffen werden, die als Modellregionen einen Sendungsauftrag haben.
Stefan Steinbacher von den Grünen aus Biebergemünd äußerte sich angesichts der konstruktiven, manchmal auch kontroversen Diskussion aber zuversichtlich: „Durch die Diskussion zum Biosphärenreservat werden verschiedene Positionen an einen Tisch zusammengebracht.“ So kann nicht nur Klima-, Natur- und Artenschutz vorangebracht werden, sondern es können auch zukunftstaugliche Konzepte für die Menschen erarbeitet werden. Zentrales Element in der Entwicklung dieser Konzepte ist nämlich die Beteiligung aller Betroffenen und der Bürger und die Berücksichtigung der legitimen Interessen. „Ein Spessartbauer muss von seinen Produkten leben können.“ Beispiele wie das gehen kann finden wir im Biosphärenreservat Rhön.
Auch Wolfgang Froschauer, Vorstandsvorsitzender des NABU Biebergemünd-Flörsbachtal e.V., findet diesen Aspekt wichtig. Einen hohen Stellenwert hat für ihn die Stärkung regionaler Vermarktungsketten. Als besonderes Problem spricht er den allgegenwärtigen Flächenfraß an und erntet für diese Feststellung breite Zustimmung unter den mehr als zwei Dutzend Teilnehmer:innen des digitalen Grünen Stammtischs Biebergemünd. Großflächige Monokulturen zur Biogasgewinnung wie auch gigantische Logistikzentren verdrängen fruchtbares Ackerland, auf dem Lebensmittel erwirtschaftet werden können, und treiben die Flächenversiegelung voran. Auch Knut Kiesel, der Grüne Direktkandidat für den Wahlkreis 175 und Mitinitiator des Stammtisch-Themas Biosphärenreservat Spessart sieht an dieser Stelle Handlungsbedarf und betrachtet das UNESCO Projekt „Man and the Biosphere“ als große Chance für eine nachhaltige Entwicklung des Spessarts im Einklang von Naturschutz und den Bedürfnissen der hessischen wie auch der bayerischen Bevölkerung. Auch wenn sich diese am Mittwochabend noch nicht bis ins letzte Detail ausarbeiten ließ.
Mit dabei waren unter anderem Vertreter:innen des Archäologischen Spessartprojekts und des Spessartbunds, des Kreisvorstands von Bündnis 90/die Grünen Main Kinzig und der grüne Landtagsabgeordnete Markus Hofmann.
Wer Anregungen oder Fragen zum Thema Biosphärenreservat Spessart hat, ist eingeladen, sich direkt an Knut Kiesel zu wenden. Für weitere Informationen zum Thema Biosphärenreservat empfiehlt Burkhard Büdel die Publikation „Der Mensch und die Biosphäre (MAB) – Umsetzung des UNESCO-Programms in Deutschland“, das auf der Webseite des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit in digitaler Form abgerufen oder in Papierform bestellt werden kann.
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